Die Düsseldorfer Fotoschule
In der Vorstellung des Fotografen Thomas Struth hieß es, er gehöre der ›Düsseldorfer Fotoschule‹ an. Was ist das? ›Düsseldorfer Fotoschule‹?
Die Bezeichnung geht zurück auf die Professoren, bei denen Struth studiert hat. Bernd und Hilla Becher waren sehr bedeutende Fotografen, die gemeinsam an der Düsseldorfer Akademie als Professoren unterrichtet haben. Aus ihrer Klasse gingen eine ganze Reihe von Foto-Künstlern hervor, die heute zu den Top-Fotografinnen und -Fotografen der Welt gehören, u.a. Andreas Gursky, Candida Höfer, Axel Hütte, Thomas Ruff, Jörg Sasse, Petra Wunderlich und eben auch Thomas Struth. Diese Gruppe bezeichnet man als ›Düsseldorfer Fotoschule‹.
Hilla und Bernd Becher |
Die ehemaligen Studenten haben alle einen eigenen Stil entwickelt, der sich oft von dem Stil unterscheidet, mit dem Bernd und Hilla Becher berühmt geworden sind. In diesem Post soll jedoch der Becher-Stil vorgestellt werden. Eine praktische Aufgabe findet sich am Ende des Posts.
Was fällt Ihnen auf, wenn Sie sich die Arbeit oben ansehen, die aus sechs einzelnen Bildern besteht, die als Sechser-Block gemeinsam präsentiert werden?
Die beiden folgenden Texte stellen das Typische für die Arbeiten von Bernd und Hilla Becher dar.
Der unbestechliche Blick
Fördertürme, Gasometer, Hochöfen: Die Relikte der Industriekultur waren die bevorzugten Motive von Bernd und Hilla Becher. Sie prägten gleich mehrere Generationen erfolgreicher deutscher Fotografiekünstler.
Bernd Becher, 1931 in Siegen geboren, erlebte als Kind die Schwerindustrie an Sieg und Ruhr noch unter Volldampf. In der alten Bergwerks- und Hüttenregion rauchten die Schlote und die Hämmer dröhnten. Mochten dicke Luft und Ruß Fremde die Nase rümpfen lassen, den Einheimischen bedeuteten sie Teil ihres Lebens und Zeichen intakter Wirtschaftskraft. Als man 1957 die Grube Eisenhardter Tiefbau abbricht, will Bernd Becher, der inzwischen gelernter Grafiker ist, die Anlage zeichnen. Präzise will er jedes Detail festhalten, um das, was über Jahrzehnte Kraftzentrum der Gegend war, vor dem Vergessen zu bewahren. Doch der Abriss ging viel schneller voran, als er zeichnen konnte. Deshalb griff Bernd Becher zur Kamera.
Etwa zur selben Zeit lernte er seine spätere Frau kennen, die Werbefotografin Hilla Wobeser, Jahrgang 1934, aus Potsdam. Sie war gerade nach Düsseldorf gezogen und begeisterte sich sofort für die Industriebauten im Ruhrgebiet, »diese eigentümlichen Kreaturen«, wie sie sagt. Auf das junge Künstlerpaar wirkten die mächtigen technischen Anlagen namenloser Ingenieure wie »anonyme Skulpturen«. Im VW-Bus und mit der schweren Plattenkamera im Gepäck brachen die beiden auf, um erinnerungswürdige Industriemonumente zu dokumentieren: Hochöfen, Gasbehälter, Kalköfen, Wasser-, Förder- und Kühltürme, Bergwerke, Kohlebunker, Getreidesilos. Aber ohne glasklares Konzept wäre diese Mammutaufgabe zerfranst: Bernd und Hilla Becher wählten die Methode typologischer Bildserien.
Sachlichkeit statt Dramatik
Als oberstes Becher-Gebot beherrschen Sachlichkeit und Neutralität die aus immer dem gleichen Blickwinkel, mit immer gleicher Präzision angelegten Schwarz-Weiß-Aufnahmen; tausende Bilder, die nie eine Spur von Arbeit zeigen, keine Dramatik durch Schattenspiele oder Wetterwirkung zulassen. Bis Bernd Becher im Jahr 2007 stirbt, reist das Fotografenpaar durch die Welt. Die beiden finden ihre Motive in Pennsylvania und in Süd-Wales, in Lothringen und nicht zuletzt in Belgien – schließlich war Lüttich ein Vorposten der kontinentaleuropäischen Stahlindustrie.
Neben Einzelobjekten nehmen sie auch ganze Werkanlagen im Gefüge ihrer Umgebung ins Visier. Diese Industrielandschaften erzählen etwas mehr vom Leben mit der Grube. Wo etwa, wie auf einer Aufnahme von 1975, Bergmannshäuschen in Lüttich zwischen die hohen Zechenbauten von St. Nicolas und das Bahngleis gequetscht stehen, unterscheiden sich die Lebensbedingungen wenig von denen in Wanne-Eickel oder Pittsburgh. Das Oeuvre* der Bechers hat die Konzeptkunst* um einen bedeutenden fotografischen Beitrag bereichert und zugleich entscheidend dazu beigetragen, dass der kulturhistorische Wert der Zweckbauten als Denkmäler des industriellen Zeitalters erkannt wurde, bevor alles niedergerissen war.
https://www.goethe.de/de/kul/bku/20565837.html
* Œuvre - Gesamtwerk eines Künstlers, einer Künstlerin
** Konzeptkunst sieht sich als Erweiterung der Minimal Art (siehe Anmerkung zum nächsten Text). Im Zentrum steht das Konzept und die Idee des Künstlers für sein Werk – nicht jedoch dessen Ausführung. Die Ausführung des Kunstwerks ist von untergeordneter Bedeutung. Im Vordergrund stehen Konzept und Idee, die für die künstlerische Arbeit als gleichwertig erachtet werden.
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Ein Gesamtkonzept
Eine Ansicht reiht sich an die nächste. So wird die Form des einzelnen Gebäudes wichtiger als seine Funktion. In der Fotografie werden die Bauwerke zu ästhetischen Objekten mit skulpturalem Charakter. Bernd und Hilla Becher präsentieren ihre Bilder nicht einzeln, sondern in einem Raster neben- und übereinander. Das Werk ist nicht das einzelne Foto, sondern die Gesamtheit der Typologie.
Die Arbeitsweise der Bechers ist – vordergründig – um Objektivität und Anonymität, um Strenge und Sachlichkeit bemüht. […] Das Künstlerpaar lenkt die Aufmerksamkeit auf die formalen, gestalterischen Aspekte der fotografierten Bauten und lässt sie zugleich wieder im Raster der Typologie verschwinden. In der Strenge ihres Bildvokabulars und im Interesse an einer industriellen Ästhetik zeigt sich die Nähe vom Schaffen der Bechers zu Minimal Art* und Konzeptkunst**.
https://becherklasse.staedelmuseum.de/
* Minimal Art ist eine in den frühen 1960er Jahren in den USA als Gegenbewegung zur gestischen Malerei des Abstrakten Expressionismus entstandene Kunstströmung. Minimal Art strebt nach Objektivität, schematischer Klarheit, Logik und Entpersönlichung. Typisch für Skulpturen und Objekte des Minimalismus sind das Reduzieren auf einfache und übersichtliche, meist geometrische Grundstrukturen, häufig in serieller Wiederholung.
Aufgabe
Erstellen Sie eine oder drei Fotoserien, in denen Sie sich an den Prinzipien der Bildgestaltung der Bechers orientieren: Objektivität und Anonymität, Strenge und Sachlichkeit, Darstellung von Typen.
Suchen Sie in Ihrem Haushalt geeignete Objekte, die Sie in dieser Art seriell fotografieren können. Bemühen Sie sich, die Objekte frei von ablenkender Umgebung zu zeigen.
Sie können auswählen, entweder eine Serie mit neun Fotos oder drei Serien mit je vier Fotos zu erstellen. Sollten Sie beide Varianten einreichen, wird eine davon als freiwillige Sonderaufgabe gewertet.
Reichen Sie die Fotos über logineo bis zum 22.01.2021 ein.