Kriegszeiten – Desastres de la Guerra
Die Schrecken des Krieges
In das ruhige Leben Goyas brach 1808 der Krieg ein. Napoleons Truppen, die überall in Europa auf dem Vormarsch waren, standen auf einmal auch in Madrid. Der spanische König wurde entmachtet. Fünf Jahre lang tobte ein Befreiungskampf des spanischen Volkes gegen die französischen Besatzer, der von beiden Seiten mit unerbittlicher Härte geführt wurde. Erst das Eingreifen der englischen Truppen unter Wellington beendete die Kämpfe. Doch der neue König Ferdinand VII. brachte nicht die ersehnte Freiheit, sondern regierte mit despotischer Gewalt. Goya geriet in diesen Zeiten als spanischer Patriot einerseits und Anhänger der französischen Aufklärung andererseits in innere Widersprüche und versuchte sich mit den wechselnden Regimen zu arrangieren. Heimlich arbeitete er an Graphiken, die die Brutalität des Krieges so krass darstellten wie nie zuvor in der Kunst.
Zu Goyas Lebzeiten hat kaum jemand diese Druckgraphiken gesehen. Nur dem Kunsthistoriker Berrnudez schickte er ein vollständiges Exemplar mit den über 80 Probedrucken, damit der gebildete Freund die Bildunterschriften korrigierte. Erst 1863 kam die erste Ausgabe der Serie unter dem Titel ›Desastres de la Guerra‹ heraus, ›Die Schrecken des Krieges‹. Ungeschminkt stellte er die gräßliche Realität des Krieges dar und zeigte, wie der Krieg Menschen zu Bestien macht. Goya hatte es selbst gesehen, als er 1808 durch das Land nach Saragossa reiste. Neben diesen eigenen Erlebnissen griff Goya auf die kursierenden Augenzeugenberichte über die Greuel des Krieges zurück. Das Kriegsgeschehen war für niemanden mehr zu übersehen, es gab keine klaren Schlachtlinien oder Fronten. Im ganzen Land rotteten sich Untergrundkämpfer zusammen, um sich auf die französischen Truppen zu stürzen. In grausamen Racheakten zerfleischten sich Besatzer und Einheimische gegenseitig, Zivilisten blieben nicht verschont.
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Goyas Bilder sind keine SchlachtendarsteIlungen im traditionellen Sinne. Sie zeigen Erschießungen, Vergewaltigungen, Leichenberge, grausam Verstümmelte, Gehenkte, panisch Fliehende, Hungernde, Verwundete. Täter werden zu Opfern, Opfer zu Tätern. In den Bildern wird deutlich, dass Goya die Unmenschlichkeit anprangert, egal, von welcher Seite diese ausgeht. Er betreibt keine Propaganda gegen die Franzosen und stellt seine eigenen Landsleute nicht positiver dar als deren Feinde.
Oft betonen die ungewöhnlichen Bildkommentare die Sinnlosigkeit der Gewalt zusätzlich: ›Begraben und Schweigen‹, ›Man kann es nicht ansehen‹, ›Niemand kann wissen warum‹, ›Es lohnt nicht zu schreien‹, ›Karrenladungen für den Friedhof‹. Schließlich fügte er Jahre nach dem Krieg noch eine Reihe bitterer Satiren gegen Staat und Kirche hinzu.
Allein das letzte Blatt der ›Desastres‹ drückte eine zaghafte Hoffnung aus: Vor dem strahlenden Licht der Wahrheit in Gestalt einer schönen Frau weichen ihre Feinde in die Finsternis zurück.
Die Erschießung der Aufständischen (1814)
Nach dem Ende des Krieges nahm Goya zwei großformatige Gemälde in Angriff und wählte als Themen zwei Schlüsselereignisse vom Beginn des spanischen Aufstands gegen die Franzosen: Die Revolte der Madrider Bevölkerung am 2. Mai 1808 und die Erschießung der Aufständischen am Morgen des folgenden Tages. Das erste Bild zeigt den blutigen Kampf in der Tradition barocker Schlachtenbilder.
Das zweite Gemälde mit der Darstellung der Erschießung wirkt auf den heutigen Betrachter entschieden moderner. Unter dem schwarzen Nachthimmel vollstrecken französische Soldaten den Erschießungsbefehl an Männern aus dem spanischen Volk. Hingerichtet wurden bei diesem Racheakt alle Spanier, die bewaffnet angetroffen worden waren. In einigen seiner Radierungen aus den »Desastres de la Guerra‹ hatte Goya bereits ähnliche Kompositionen entwickelt. Da stehen sich die Parteien des Krieges gegenüber: Die Spanier stürzen sich verzweifelt mit improvisierten Waffen den gut ausgerüsteten Franzosen entgegen. Während man die Soldaten nur von hinten sieht, verleiht Goya den Aufständischen durch die Darstellung ihrer Gesichter Würde und Individualität.
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Dieses Kompositionsprinzip ist in dem Gemälde ›Die Erschießung der Aufständischen‹ weiterentwickelt. Hier ist die Reihe der gesichtslosen Militärs zu einer geschlossenen Diagonale zusammengezogen, die Gewehrläufe sind parallel ausgerichtet. Das Geschäft des Tötens vollzieht sich mit kalter Präzision. Die dramatische Lichtführung steigert die Wirkung der Szene. Grell fällt das Licht aus einer Stallaterne auf die Opfer. Im Vordergrund ist schon ein Opfer der Erschießung zu erkennen. Der Tote liegt mit ausgestreckten Armen auf dem Boden und deutet dadurch auf das Schicksal der Rebellen hinter ihm hin. Im Zentrum des Bildes steht das nächste Erschießungsopfer. Mit den nach oben gestreckten Armen erinnert seine Haltung an den gekreuzigten Jesus, und tatsächlich sind auch Wundmale auf seinen Handflächen zu sehen. Durch diesen Bezug sprengt Goya den zeitgeschichtlichen Rahmen und zeigt, daß die grausame Ermordung Wehrloser eine immer wiederkehrende Realität ist. Gleichzeitig verleiht er den Verurteilten damit große Würde.
Mit besonderer psychologischer Eindringlichkeit sind die Männer in ihrer ausweglosen Situation dargestellt. Durch die dramatische Mimik und Gestik der aus der Hintergrund tretenden weiteren Opfer wird der Betrachter unmittelbar angesprochen. Dennoch weist Goyas Bildregie dem Betrachter eine Position auf der Seite der Mörder zu, denen man gewissermaßen über die Schulter schaut.
Aufgabe
• Informieren Sie sich in einem weiteren Post über die Fotos, die einhundert Jahre nach Goya unter dem Titel ›Krieg dem Kriege‹ über die Schrecken des Ersten Weltkriegs aufklären wollten (➜ Link).
• Schauen Sie sich die auf wikipedia veröffentlichte Liste von Kriegen an, die allein seit dem Jahr 2000 geführt wurden (➜ Link). Scrollen Sie auf dieser wikipedia-Seite nach oben, um eine Vorstellung darüber zu gewinnen, wie viele Kriege über die Zeiten geführt wurden.
• Zeichnen oder malen Sie ein Bild (Format zwischen A4 und A3), in dem Sie die negativen Folgen eines Krieges darstellen. Greifen Sie dabei als Vorlage auf Bildmaterial zu dem Thema zurück, das Sie z.B. im Internet suchen können. Ihre Zeichnung kann sich an schockierenden Darstellungsweisen, wie Goya oder Friedrich sie gezeigt haben, orientieren. Das ist jedoch keine Vorgabe.
In die Bewertung geht neben den zeichnerischen Qualitäten auch ein, ob Ihre Darstellung geeignet ist, die Aussageabsicht angemessen zu visualisieren.
Eine von vielen Möglichkeiten, wie die Aufgabe bearbeitet werden könnte, finden Sie in o.a. Post ›Krieg dem Kriege‹ ganz unten auf der Seite (Radierung von Otto Dix).
Geben Sie Ihre Arbeit bis zum 06.12.2020 bei Herrn Schlüter ab.