Zellen – eingesperrt, Angst, Schmerz
Cells
In ihren Achtzigern schuf Bourgeois zwei Serien von in sich geschlossenen Installationen*,
die sie ›Cells‹ nannte. Viele davon sind kleine Einheiten; der
Betrachter ist aufgefordert, hineinzuschauen, um darin Anordnungen
symbolischer Objekte zu sehen; andere sind kleine begehbare Räume. In
der Werkgruppe ›Cells‹ greift Bourgeois auf frühere Arbeiten zurück, sie
verwendet sowohl gefundene Objekte als auch persönliche Gegenstände,
die für die Künstlerin eine starke emotionale Aufladung besitzen.
Diese
Zellen zeigen psychologische und intellektuelle Zustände, vor allem
Gefühle von Furcht und Schmerz. Bourgeois erklärte, die ›Cells‹
repräsentierten »verschiedene Arten von Schmerz; physischen, emotionalen
und psychologischen, mentalen und intellektuellen … Jede Zelle befaßt
sich mit einer Art von Furcht. Furcht ist Schmerz (…). Jede Zelle befaßt
sich mit der Lust des Voyeurs, dem Reiz, zu beobachten und beobachtet
zu werden.«
* Die
Installation ist in der bildenden Kunst ein meist raumgreifendes,
ortsgebundenes dreidimensionales Kunstwerk. Eine Installation bezeichnet
die von einem Künstler angeordnete Ausgestaltung eines ganzen Raumes.
Ausstellungsbesucher können oft in den Raum, in die Installation
hineingehen. Ein Ziel von Installationen ist häufig, den
Blick des Betrachters zu verändern, so dass Gewohntes aus seinem
Kontext herausgehoben und zu Ungewohntem wird. Die Installation wirkt so
oft verstörend auf den Besucher.
Zerstörung des Vaters
Eine der Vorläufer der ›Cells‹ ist die Installation ›Zerstörung des Vaters‹ aus dem Jahr 1974. Diese Arbeit ist ein biographischer und psychologischer Entdeckungsprozeß der Machtdominanz zwischen Vater und Kind. Das Werk besteht aus einer Anordnung von fleischfarbenen Körpern in einem weichgepolsterten und uterusartigen Raum. Aus Gips, Latex, Holz, Textilmaterial und roter Beleuchtung geschaffen, ist dies das erste Werk, für das sie in großem Stil weiche Materialen verwendete. Beim Betreten der Installation findet sich der Besucher in einer Szenerie wieder, die einem Tatort gleicht. In einem stilisierten Eßzimmer, das man auch als Schlafzimmer deuten kann, haben die abstrakten, ›klümpchenförmigen‹ Kinder eines übermächtigen Vaters diesen in einem Akt der Rebellion ermordet und gegessen.
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Cell I: 1991 - Geburtsjahr der ›Zellen‹
Louise Bourgeois präsentierte ›Cell I‹ bis ›Cell VI‹ zum ersten Mal […] in Pittsburgh. Für sie symbolisierten die Zellen physischen, emotionalen und psychologischen, aber auch mentalen und intellektuellen Schmerz. Die Wechselwirkungen zwischen Körper und Geist waren für die Künstlerin mit Wurzeln im Surrealismus von höchster Bedeutung und die Produktion von Kunst eine »Garantie geistiger Gesundheit«, so auf der Zelle ›Precious Liquids‹ (›Kostbare Flüssigkeiten‹, 1992) zu lesen.
Manche der Zellen sind hermetisch geschlossen, einige jedoch wie Schneckenhäuser aufgebaut und dadurch bis zu einem gewissen Moment betretbar. Bourgeois macht die Grenze zwischen Innen und Außen zwar teilweise durchgängig, trennt dadurch aber die Welten umso mehr. Die Zellen geben ihre Schutzfunktion für das Private auf und verwandeln sich in Präsentationsflächen für Geheimnisse. Dass man sie nur bis zu einem gewissen Punkt betreten darf und dadurch immer Ecken uneinsehbar bleiben, verstärkt die Neugier. Betrachter/innen werden automatisch zu Voyeur/innen, die Schaulust wird nie ganz befriedigt. Egal ob sie aus alten Türen, engmaschigem Gitterdraht oder massivem Metall gemacht sind, die Zellen wecken auch die Assoziation von Gefängnissen. Objekte verwandeln die höhlenartigen Räume in emotionsgeladene Ansammlungen von Geschichten, meist Reflexionen über die Gesellschaft auf Basis der Biografie der Künstlerin. Als Beispiel sei eine der Zellen genauer dargestellt.
Cell (Choisy): Angst
›Aux Vieilles Tapisseries‹ (Bei den alten Wandteppichen) steht auf einem Schild zu lesen, dass in ›Cell (Choisy)‹ (1990–1993) eingebaut ist. In dieser an einen Käfig und ein Glashaus gleichermaßen erinnernde Zelle befinden sich ein marmornes Modell von Louise Bourgeois’ Elternhaus und eine Guillotine mit hochgezogenem Blatt. Fünf Jahre ihrer Kindheit hatte Bourgeois an diesem Ort verbracht, die Eltern betrieben dort ihre Reparaturwerkstatt für Tapisserien. Wie ein drohender Schatten schwebt das Mordwerkzeug über dieser Erinnerung an das schon lange abgerissene Gebäude. Die Bildhauerin hatte seine Existenz damit erklärt, dass die Vergangenheit durch die Gegenwart abgeschnitten worden wäre. Auch wenn diese Textstelle nach Trauerarbeit klingt, so lassen andere Berichte vermuten, dass Bourgeois in diesem Haus zwar bedrohliche, aber auch glückliche Erlebnisse hatte. […]
Darstellung nach: https://artinwords.de/louise-bourgeois-zellen/ (2015)
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Kritiker schrieben: »Als eine Art Selbstportrait kann man die ›Cell XXVI‹ sehen. Spiegel und Textilien sind wiederkehrende Elemente im Zellenkosmos der Künstlerin.«
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Teilweise sind die Zellen, die von den Ausstellungsbesuchern betreten werden können, sehr klein und eng. Befindet man sich in diesen Räumen, können sich klaustrophobische Gefühle einstellen. [Klaustrophobie = Panik in engen und geschlossenen Räumen]