Ein Fall von Mißbrauch – unkonventionelle Bekenntnisse
Andrea Köhler Die Nachtragende
Die Künstlerin Louise Bourgeois will nicht vergeben und kann nicht vergessen. Antrieb für ihr Schaffen sind die Angst und die Erinnerung an die eigene Kindheit.
[…] Es gibt eine Kindheitsfotografie von ihr, mit Papa und Sadie, seiner Geliebten, und Pierre, dem jüngeren Bruder, der – endlich – der männliche Nachwuchs war, den der Vater sich immer gewünscht hatte. Louise, die zweite Tochter, nannte sich Louison. Sehr kess steht sie da, die Baskenmütze schräg auf dem Kopf, um den Mund ein spöttisches Lächeln. So lächelt sie noch einmal auf einer anderen Fotografie, 60 Jahre später, Robert Mapplethorpe hat das Bild 1982 gemacht, und es ist berühmt geworden: Louise Bourgeois in einem Zottelpelz, einen riesigen Latexpenis wie ein Maschinengewehr unterm Arm, eine ihrer aggressiv-sexuellen Skulpturen. Fillette, Töchterchen, hat sie sie genannt. Ein Totemphallus gegen die Schutzlosigkeit und die Angst, die Antrieb und Motor ist für ihr Werk. Die Angst, verlassen zu werden: »Sich ihr zu stellen, sie zu exorzieren, sich deswegen zu schämen und schliesslich Angst vor der Angst zu haben – das ist das Thema«, hat sie geschrieben.
Immer wieder hat sie betont, wie stark ihre Arbeit von ihren Gefühlen und allem voran von ihrer Kindheit genährt worden ist. Besonders die späten »Cells«, klaustrophobische Räume, die zwischen Höhle und Folterkammer, Lust und Schmerz vieldeutig oszillieren, thematisieren archaische Ängste. […] Auch die Gewalt, die Lust am Kaputtmachen gehören zu diesem Repertoire, und dann die Schuldgefühle als Reaktion auf die Aggressionen. So hat sie das Unbewusste in eine Formensprache gebannt, die lebensgeschichtlich geprägt und zugleich archetypisch ist. Den direkten Zugang zu den verschwiegensten Zonen der Seele aber hat Louise Bourgeois stets als ein Privileg des Künstlers bezeichnet, das Verpflichtungen mit sich bringt. […]
In den 1930er Jahren studierte Bourgeois Malerei bei Fernand Léger und an der Ecole des Beaux-Arts in Paris, 1938 folgte sie ihrem Ehemann, dem amerikanischen Kunsthistoriker Robert Goldwater, nach New York und hat seither ihre eigene Formensprache entwickelt. Sehr spät erst, mit über siebzig, kam der Erfolg: Die grosse Retrospektive 1982 im Museum of Modern Art hat sie berühmt gemacht. Es war der Beginn einer steilen Karriere; seitdem ist sie weltweit in allen grossen Museen ausgestellt. Sie sei dankbar, meint sie, dass sie so spät erst entdeckt wurde; es hat ihr erlaubt, in Ruhe ihre eigene artistische Sensibilität zu entwickeln. Die Etappen der Selbstzweifel, etwa als sie versuchte, ein Leben als Hausfrau und Mutter von drei kleinen Kindern zu führen, liegen mehr als ein halbes Jahrhundert zurück. Die grösste Herausforderung in ihrem Leben aber sei es gewesen, »geliebt zu werden«. […]
Natürlich geht ihr Werk in der lebensgeschichtlichen Lesart nicht auf. Und auch wenn ihre explizit sexuellen Symbole der psychoanalytischen Deutung (oder feministischen Sache) reichlich Anschauung lieferten, sind solche Zuschreibungen natürlich zu plan. Und doch haben Wut und Schuldgefühle den Skulpturen die biographische Signatur verliehen: die Wut auf den Vater, der seine Geliebte als Lehrerin für Louise in den Haushalt einführte, die Wut auf die Mutter, die sich der Anwesenheit der Konkurrentin in ihren eigenen vier Wänden jahrelang ohne Widerspruch beugte; die Wut auf die Lehrerin, von der sich das Kind doppelt betrogen sah; das Gefühl, von allen verraten und verlassen worden zu sein: das ist die oft wiederholte Familienlegende, die sie in ihren Schriften »Kindesmissbrauch« nennt; eine stets offen gehaltene seelische Wunde, die zur Obsession und Energiequelle ihrer Arbeit wurde. »Destruction of the Father« heisst eine Rauminstallation von 1974: eine archaische, in rötliches Licht getauchte Rachenhöhle aus Latex und Holz, in der auf einer Schlachtbank mit phallischen Formen »der Vater gefressen« wird.
»Ich vergebe nichts, und ich vergesse nichts«, hat Bourgeois immer behauptet und damit zuerst wohl die kindliche Wucht der Gefühle gemeint. Dennoch: Haben die Störenfriede aus der Erinnerung über die Jahre nicht ihre Kraft verloren? »In der Vergangenheit war meine Arbeit extrem gewalttätig. Jetzt möchte ich keine Gewalt mehr sehen, keine Schreie mehr hören. Die Stille ist schön«, meint Louise Bourgeois heute. Die Stille gehört zu der Mutter, zu den hermetischen Räumen, die von der Spinne behütet werden, in deren ambivalentem Bild die Künstlerin ihre Mutter symbolisiert. […]
Doch wenn die Kunst für sie eine Art Katharsis ist, wieso hat das Werk die Furien der Vergangenheit nicht beruhigt? Die alte Frau glaubt nicht an die erlösende Kraft der Kunst, jedenfalls nicht über den Akt des Herstellens selber hinaus: »Der Künstler ist dazu verdammt, ein Leben in Wiederholung zu leben. Es gibt keine Heilung, es gibt keine Kur.« Gleichwohl ist ihr das Arbeiten ein »Garant für die Gesundheit«, jeden Morgen aufs neue bis auf den heutigen Tag. »Ich bin dankbar für diesen Prozess.« […]
Andrea Köhler ist Kulturkorrespondentin der NZZ in New York.
Neue Züricher Zeitung, April 2006
Ingeborg Breuer
Der Wert der Kunst
Wie funktioniert der weltweite Kunstmarkt?
Ausschnitte aus einem Essay
Warum
werden für Kunstwerke des einen Künstlers Millionenbeträge bezahlt und
warum gehen andere – nicht weniger talentierte – leer aus? Und wie
kommen die teils als absurd wahrgenommenen Preise eigentlich zustande?
In mehreren Forschungsprojekten und Veröffentlichungen haben
Wissenschaftler versucht, die Mechanismen des weltweiten Kunstmarktes zu
entschlüsseln.
➜ »Ich habe heute gerade eine sehr hübsche Anekdote gelesen über Hans Thoma, den Karlsruher Maler, der in einer Ausstellung hinter einem Vorhang die Reaktionen von Besuchern mithörte. ›Und da sagte ein Paar: Was hat sich der Künstler da wohl gedacht bei diesem Bild? Das war ein Landschaftsbild. Und in dem Moment stürmt Thomas hinter den Vorhang hervor und sagt, na der Künstler wollte das Bild verkaufen, verkaufen wollte er es.‹ Das ist tatsächlich etwas, was man bei der Kunstbetrachtung leicht vergisst, dass viel von dieser Betätigung doch auf einen ökonomischen Erlös, auf einen beträchtlichen Gewinn abzielt. Und das schon seit Jahrhunderten.« (Dr. Johannes Nathan vom Forum ›Kunst und Markt‹ an der TU Berlin)
➜ »Dann kann das für eine Galerie durchaus Anreiz sein, sich für diese Person weiter einzusetzen. Dann wird das mit der Aktivierung eines großen Netzwerkes einhergehen, dann wird man versuchen, den Journalismus zu aktivieren, man wird auch Institutionen versuchen zu gewinnen, die vielleicht den Künstler schon ausstellen. Und da kann es dann gelingen, dass ein Kreis von potenten Sammlern gewonnen wird, die anfangen diese Werke zu kaufen. Und das Ganze kann, wenn es eine kritische Masse überschreitet, eine derartige Wucht entfalten, dass so ein Künstler in höchste Höhen kommt. Ich würde aber zögern zu sagen, das ist einzig Folge der Qualität dieser Werke.« (Dr. Johannes Nathan, Kunsthistoriker an der TU Berlin und Direktor der Galerie Nathan Fine Art in Zürich und Berlin)
https://www.deutschlandfunk.de/der-wert-der-kunst-wie-funktioniert-der-weltweite-kunstmarkt.1148.de.html?dram:article_id=299645
Definition: Public Relation Unter Public Relations (PR) versteht man die Öffentlichkeitsarbeit eines Unternehmens. Ziel dieser Öffentlichkeitsarbeit ist es, Vertrauen in eine Marke aufzubauen. Public Relations richtet sich also an die gesamte Öffentlichkeit und soll das Image des Unternehmens in der Bevölkerung positiv beeinflussen.
Kultur: Im Bett mit der Kunst
Ruhm ist das wichtigste Gut des Kulturbetriebs. Ohne Kulturmanagement und PR ist er nicht zu haben. Ohne die Medien auch nicht.
Im Jahr 2003 ging die bekannte Künstlerin Andrea Fraser mit einem unbekannten Kunstsammler ins Bett. Die beiden hatten, wie die New York Times schrieb, Sex in "jeder erdenklichen Position". Warum weiß das die Zeitung? Weil Andrea Fraser den Akt mit der Videokamera aufgezeichnet und öffentlich gezeigt hat; und der unbekannte Kunstsammler hat 20000 Dollar dafür bezahlt, in Frasers Bett und in Frasers Kunst hineingelassen worden zu sein.
In dieser Szene, die in einem New Yorker Hotelzimmer stattfand, zeigte sich in aller Intimität, was ansonsten unübersichtlich und neurotisch geworden ist. Das Rollengewimmel, das entsteht, wenn Kunst verkauft wird, reduzierte sich auf zwei Teilnehmer. Die Künstlerin umschlang den Zuschauer, das Werk verschmolz mit der Werbung.
Der Akt, der sich außerhalb ausgesuchter Hotels in größerem Rahmen vollzieht, nennt sich Kulturbetrieb, und üblicherweise haben daran teil: ein Star, ein Markt, die Kunst, die Werbung, etliche Berater und Manager, die Medien, die Zuschauer.
Eine der rätselhaftesten Funktionen in diesem Spiel ist die der Public Relations. Kaum einer, der PR macht, wird einem so genau sagen, was er denn eigentlich tut. Die PR, wäre sie eine Person, würde vermutlich sagen: Was ich mache? Ich generiere.
Das Wort wird von Leuten verwendet, die nichts herstellen. PR-Agenten generieren Aufmerksamkeit, Werbeagenturen generieren Kauflust, Stars generieren Identifikation, Journalisten generieren Aufregung. Ist der Ruf erst generiert, tun sich die Märkte auf.
https://www.zeit.de/2008/31/Starmacher/komplettansicht
Und noch einmal: Louise Bourgeois
Ihrem Hang zu unkonventionellen Bekenntnissen machte Louise Bourgeois erst spät Luft, 1982 während ihres ersten künstlerischen Groß-Auftritts im Museum of Modern Art. Mit über siebzig enthüllte sie die Geschichte ihres treulosen Vaters, ihres leichtlebigen englischen Kindermädchens und ihrer Mutter, die das Arrangement im eigenen Haus Jahre lang duldete. Und sie erzählte die Story danach immer wieder, so dass aus dem eigentlich Banalen ein fetischisiertes Ritual wurde, das der Künstlerin kreative Flügel wachsen ließ. »Ich vergebe nicht und ich vergesse nicht. Das ist das Motto, das meine Arbeit nährt«, sagte sie noch 2006. Sie fühlte sich dreifach betrogen und nannte das Gefühls-Chaos im Hause Bourgeois »child abuse«. […]
Vor ihrer kruden Klage über ›Kindesmissbrauch‹ galt Louise Bourgeois als eher kurz angebunden, wenn sie zu ihrer Arbeit – und erst recht zu Persönlichem – befragt wurde. Bei dem ersten großen öffentlichen Erscheinen dann plötzlich dieses radikale Offenlegen des intimsten Familienlebens. Und das war fortan als Triebfeder ihres Tuns ausgemacht. Ihre Kunst wurde und wird durch die Freud‘sche Brille betrachtet – und die rückte die Künstlerin immer wieder geschickt zurecht. Publikum und Ausstellungsmacher, Amateure und Experten lassen sich gerne von der ›Frau, die keine Geheimnisse hat‹ manipulieren.
Amine Haase im Kunstforum, Bd. 207, 2011