Collagen im Werk von Max Ernst

 








 

Max Ernst nutzte viele verschiedene künstlerische Techniken, entdeckte sogar einige Techniken für sich neu, die bislang in der Kunst nicht angewandt worden waren. In seinem gesamten Werk spielt die Collage dabei eine wichtige Rolle, die er häufig mit anderen Techniken, z.B. der Zeichnung, kombiniert.

»An einem Regentag in Köln am Rhein erregt der Katalog einer Lehrmittelanstalt meine Aufmerksamkeit. Ich sehe Anzeigen von Modellen aller Art, mathematische, geometrische, anthropologische, zoologische, botanische, anatomische, mineralogische, paläontologische und so fort, Elemente von so verschiedener Natur, daß die Absurdität ihrer Ansammlung blickverwirrend und sinnverwirrend wirkte, Halluzinationen hervorrief, den dargestellten Gegenständen neue, schnell wechselnde Bedeutungen gab. Ich fühlte mein ›Sehvermögen‹ plötzlich so gesteigert, daß ich die neu entstandenen Objekte auf neuem Grund erscheinen sah. Um diesen festzulegen, genügte ein wenig Farbe oder ein paar Linien, ein Horizont, eine Wüste, ein Himmel, ein Bretterboden und dergleichen mehr. So war meine Halluzination fixiert« (Max Ernst). 

In dieser häufig zitierte Passage beschreibt Max Ernst – literarisch überhöht – wie er die Collage für sich entdeckte. Eine frühe collagierte Arbeit von ihm ist ›das schlafzimmer des meisters es lohnt sich darin eine nacht zu verbringen‹. Es wird eine Art ›Atelierszene‹ gezeigt, ein in der Kunst nicht unübliches Thema. Die aus seiner Autobiografie stammende Textpassage, die der Künstler im nachhinein auf 1919 vordatiert hat, liest sich wie eine Gebrauchsanweisung für die abgebildete Arbeit. 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die das ganze Blatt füllende Aufzählung von Tieren und häuslichen Geräten wird durch Übermalen reduziert, konzentriert und dramatisiert. Freigestellt und farbig getönt sind die Lieblingstiere des Meisters. Der Raum ist karg eingerichtet mit Schrank, Tisch und Bett. Fisch und Schlange sind, nach Freuds Psychoanalyse, eindeutig Geschlechtssymbole. Die vermeintliche Harmlosigkeit im Bild – Bär und Schaf stehen einträchtig nebeneinander und der Weihnachtsbaum steht für ein friedliches Fest – wird durch die erotischen Anspielungen relativiert. In der Traumdeutung bei Freud gibt es einen Schlüssel für den gedeckten Tisch: mit ihm sind auch Frauen gemeint. Die übermalten Flächen sind genutzt, um aus ihnen einen stark perspektivisch verkürzten Bühnenraum zu konstruieren. Durch die Größenverhältnisse wirken der Bär – vielleicht eine Selbstdarstellung des »Meisters« – und die merkwürdige Möblierung des Bühnenraumes monumental. 

Traumdeutung und Psychoanalyse  

Sigmund Freuds Schriften, seine Traumdeutung und schließlich die von ihm begründete Psychoanalyse werden zu den wichtigsten theoretischen Hilfsmitteln, mit denen Max Ernst sich von der bis zu diesem Zeitpunkt traditionellen Kunst befreit. Dada und Surrealismus wären ohne die bewußte Entdeckung des Unbewußten nicht denkbar. Nur vor diesem Hintergrund wird verständlich, wieso plötzlich der Zufall, das Unzusammenhängende und das Erotische einen derart großen Raum im Werk der Dadaisten und der frühen Surrealisten einnehmen. Für Max Ernst ist die Verwendung der Collage dabei eine entscheidende Technik. Für ihn wird die Verwendung von unzusammenhängenden Bildvorlagen zum Zentrum seines künstlerischen Anliegens. 

Er hat Freuds Bücher, z.B. ›Die Traumdeutung‹ und ›Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten‹, genau gelesen. Das unterscheidet ihn von anderen Künstlern der Dada-Zeit. Dieses sein Wissen muss man bei der Analyse seiner Bilder im Sinne haben.

 



 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

►   Die Collage-Romane  

Max Ernst schuf drei sogenannte »Collageromane«. Der erste war ›La femme 100 têtes‹ (Die Frau mit den 100 Köpfen), erschienen Ende 1929 mit einem Vorwort von André Breton. 1930 folgte ›Rêve d’une petite fille qui voulut entrer au Carmel‹ (Traum von einem kleinen Mädchen, das in den Karmel eintreten will) [Karmeliten sind die Mitglieder des Ordens der Brüder und Schwestern der allerseligsten Jungfrau Maria vom Berge Karmel, der der Tradition des Eremitentums entspringt] und 1934 ›Une semaine de bonté‹ (Die Woche der Güte. Ein Bilderbuch von Güte, Liebe und Menschlichkeit). 

Die Collageromane, die teilweise mit Textteilen versehen sind, basieren auf Holzstichen des 19. Jahrhunderts, unter anderem von Gustave Doré [Doré war ein bedeutender französischer Maler und Grafiker des 19. Jhdts.]. Vor allem die beiden ersten Romane sind vielfach interpretierbar; sie suggerieren durch Bildfolge und -legenden einen zusammenhanglosen Handlungsablauf. Inhaltlich wird durch die Wiederholung bestimmter Motive in Text und Bild die durch die Visionen des Surrealismus ermöglichte Befreiung aus gesellschaftlicher, staatlicher oder kirchlicher Unterdrückung angedeutet.