Optophonetische Gedichte – Text-/Klang-Collagen
»Das Wort Dada symbolisiert das primitivste Verhältnis zur umgebenden Wirklichkeit, mit dem Dadaismus tritt eine neue Realität in ihre Rechte. Das Leben erscheint als ein simultanes Gewirr von Geräuschen, Farben und geistigen Rhythmen, das in die dadaistische Kunst unbeirrt mit allen sensationellen Schreien und Fiebern seiner verwegenen Alltagspsyche und in seiner gesamten brutalen Realität übernommen wird. Hier ist der scharf markierte Scheideweg, der den Dadaismus von allen bisherigen Kunstrichtungen … trennt … . Der Dadaismus steht zum erstenmal dem Leben nicht mehr ästhetisch gegenüber, indem er alle Schlagworte von Ethik, Kultur und Innerlichkeit, die nur Mäntel für schwache Muskeln sind, in seine Bestandteile zerfetzt.«
So heißt es im 1918 veröffentlichten ›Dadaistischen Manifest‹. Das Leben als simultanes Gewirr! Was wäre besser geeignet, das künstlerisch – aber nicht ästhetisch! – darzustellen als Montagen, Collagen? Und da das Durcheinander eines von Geräuschen, Farben ist – eben der gesamten Welt –, ist man auch nicht an die klassischen Sparten der Kunst gebunden. Montiert werden Bilder, Buchstaben, Zahlen, Farben, Gegenstände, Worte, Klänge, Geräusche …
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Und die Dadaisten scheren sich auch nicht um die Grenzen zum Theater, zum Gesang. Im ›Cabaret Voltaire‹ in Zürich finden regelmässig Soireen (exklusive Abendgesellschaften) statt, in denen die Dadaisten in merkwürdigen, selbst entworfenen dadaistischen Kostümen ihre Werke selbst vortragen – häufig Lautgedichte.
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Verstörende Buchstabencollagen bilden unsinnige Fantasiewörter, die über die Seite tanzen und springen. Dies sind ›optophonetische Gedichte‹ (Optik – zum Sehen gehörend; Phonetik — Wissenschaft von den sprachlichen Lauten). In ihnen wird z.B. durch Größe und Fettungsgrad der Buchstaben für den Vortragenden die Lautstärke angezeigt; die Linie, auf der die Wörter sitzen, kann die Satzmelodie visualisieren.
Rekonstruktion des Merzbaus von Kurt Schwitters |
Schwitters hat die ›Sonate in Urlauten‹ mehrfach öffentlich vorgetragen. Die folgende Abbildung zeigt das Typoskript der Ursonate – sie ist nicht optophonetisch gestaltet. Schwitters hatte genaue Vorstellungen, wie sie vorzutragen sei, im Kopf. Vor einigen Jahren wurde auf einem Dachboden ein Originaltonband gefunden, auf dem Schwitters zu hören ist. Unten in diesem Post finden Sie ein kleines Hörbeispiel aus dieser Aufnahme.