Bildanalyse – Die Erschießung der Aufständischen
1. Bildbeschreibung
Das Bild ›Die Erschießung der Aufständischen am 8. Mai 1808‹ wurde von Goya im Jahr 1814 gemalt. Es ist 3,45 × 2,66 Meter groß und zeigt genau das, was der Titel sagt, nämlich eine Erschießungsszene.
Man erkennt man mehrere Menschengruppen. Links Männer, die in alltäglicher Kleidung aus der Zeit, in der das Bild gemalt wurde, dargestellt sind. Die Kleidung lässt vermuten, dass sie eher den unteren sozialen Klassen angehören. Die Männer sind wohl die ›Aufständischen‹, denn sie werden aufrecht stehend, aber durch Mimik und Gestik als verzweifelt Erschrockene gezeigt. Sie stehen inmitten von blutigen Toten, die schon erschossen worden sind. Hinter ihnen befindet sich eine größere Gruppe ängstlicher Männer, die darauf warten, als nächste an die Reihe zu kommen. Sie bedecken teilweise ihre Augen, um das Grauen nicht sehen zu müssen, ihre Körper sind furchtsam geduckt.
Auf der rechten Bildseite stehen den Männern acht sich teilweise überdeckende Uniformierte gegenüber, die Gewehre mit aufgesteckten Bajonetten im Anschlag und auf die zu Erschießenden zielend. Sie wenden dem Betrachter den Rücken zu, dieser steht also gleichsam hinter den Soldaten – und damit auf deren Seite. Gleichzeitig bleiben durch diese Darstellung die Soldaten gesichtslos und damit anonym. Ihre Körperhaltung zeigt einen leicht vorgestreckten Oberkörper, der durch den jeweils zum Schuss erhobenen linken Arm mit Gewehr und Bajonett verlängert ist, eine insgesamt kraftvolle Gruppe, deren Aggressionspotential durch umgehängte Krummsäbel noch verstärkt wirkt. Die Soldaten tragen hohe Uniformmützen und geschnürte Rucksackbündel. Man könnte assoziieren, dass sie ihre Bürde tragen müssen.
Die gesamte Szene spielt sich unmittelbar vor einem Hügel ab, der links im Bild zu sehen ist. Rechts im Hintergrund sind Häuser und eine Kirche zu erkennen. Der dunkle Himmel zeigt, dass es Nacht ist. Verschwommen sind zwischen den Häusern und der Gruppe der auf ihre Exekution Wartenden Strukturen zu erkennen, die als weitere Menschen gesehen werden könnten.
Die beeindruckende Szene wirkt trotz der Grausamkeit der Erschießung, die den Betrachter bewegt, merkwürdig unwirklich. Das liegt an den Lichtverhältnissen. Es ist stockfinstere Nacht, kein Stern am mondlosen Himmel. Dennoch ist die Hauptgruppe der vor der Erschießung stehenden Männer hell erleuchtet, so als seien Scheinwerfer auf sie gerichtet. Das Licht scheint von einem vor den Soldaten stehenden über kniehohen rechteckigen Kasten aus, der wie eine Laterne sein Licht auf die Männer wirft.
So ist deren Angst, ihre Verzweiflung gut zu erkennen. Einer von ihnen im Hintergrund bedeckt seine Augen, andere blicken zu Boden, einer schaut mit weit aufgerissenen Augen den Soldaten entgegen. All diese zeigen eine verzagte, hoffnungslose Haltung. Ein Mann jedoch, die Hauptperson des Gemäldes schaut zwar auch mit aufgerissenen Augen und verzweifeltem Gesichtsausdruck die Soldaten direkt an. Gleichzeitig reißt er die Arme in die Höhe, als wolle er an die Aggressoren um Einhalt bitten, an ihre Gnade appellieren. Man kann diese Körperhaltung assoziativ mit der eines am Kreuz Hängenden verbinden. Er trägt auch die hellste Kleidung, was den Blick des Betrachters auf ihn zieht, bis hin zu einem weißen – der Farbe der Unschuld – Hemd.
2. Bildaufbau / Komposition
Grob lässt sich das Bild in vier Flächen unterschiedlicher Helligkeit aufteilen. Die hellste, links liegende, zeigt das Hauptmotiv, die zu Erschießenden, die sich im Licht stehend von dem noch helleren Hügel abzeichnen, wobei die helle Kleidung der Hauptperson innerhalb dieser Fläche noch einmal besonders hervorsticht. Die südländisch dunkle Hautfarbe im Gesicht dieses Mannes trägt weiterhin zur Blickführung bei. Innerhalb dieser Fläche wirken die Körper der noch lebenden und der toten Opfer ungeordnet. Der Inhalt, die Aussageabsicht ›Grauen‹, ›Schrecken‹ wird kompositorisch durch die ›Unordnung‹ und das ›Chaos‹ zum Ausdruck gebracht. Demgegenüber wirkt die in dunklen Mitteltönen gehaltene Gruppe der Soldaten streng aus parallelen Linien aufgebaut. Die Körper, die Kleidung, die Gewehre. Hier agieren keine Einzelpersonen, keine einzelnen Menschen. Hier ist ein Körper, eine ›Todesmaschine‹ am Werk, militärisch ruhig und geordnet. In dem Gemälde kreuzen die aufgesteckten Bajonette das Gesicht eines der Opfer. Dies kann man so interpretieren, als hätten die Soldaten sein Gesicht symbolisch schon zerschnitten und verstümmelt. Als dritte Fläche ist die im Hintergrund liegende, ebenfalls dunkel dargestellte Stadt zu nennen, wenn man die Überlagerung formal als solchen Schnitt interpretiert. Diese wirkt menschenleer; es ist schließlich Nacht. Hilfe oder auch Mitleid ist von dort nicht zu erwarten, zumal die zu Erschießenden von den menschlichen Behausungen durch den Hügel abgetrennt, wie in einer Falle dargestellt werden. Und auch von oben, vom schwarzen Himmel, der vierten großen Farbfläche, kommt keine Rettung. Der Himmel ist dunkel und leer.
3. Farbe
Die vorherrschenden Farben in dem Bild sind Braun- und Ockertöne. Selbst wenn Farbvarianten ins Rötliche (Blut der Toten), Grünliche (Hose eines noch lebenden Opfers) oder Bläuliche (Uniformen) gehen, bewegt dies sich nah an Ocker und an Braun. Damit herrschen warme Farbtöne im Bild vor – und das, obwohl eine schreckliche Szene, eine grausame Erschießung gezeigt wird. Somit kann man davon ausgehen, dass die Hauptintention Goyas dahin geht, Mitleid zu erwecken. Der Betrachter, der ja seitlich hinter den Soldaten zu stehen scheint, wird damit zum Empfänger des Appells, der von der Hauptperson ausgeht.
Geht von der Farbwahl im Bild keine Dynamik aus, kann man das von einem weiteren Farbaspekt nicht sagen. Die Helligkeit wird zu einem wichtigen Gestaltungsmittel. Schon in der Bildbeschreibung und den Ausführungen zur Komposition wurde auf die Konzentration hellerer Töne im linken Bildteil, bei den Erschießungsopfern, hingewiesen. In diesen Bildflächen sind die direkten Helligkeitskontraste am höchsten. Hier finden sich auch die Farbkontraste mit den bereits erwähnten Grün- und Rottönen. Das heißt, dass hier, wo kompositorisch Unordnung der Körper vorwiegt, auch die Dynamik der Farben am stärksten ist.
4. Bezüge zur Biografie des Künstlers
In diesem Blog wurde bereits darauf hingewiesen, dass Goya um das vierzigste Lebensjahr Krisen erlebte, die sein Leben, seine Sicht auf die Welt und seine Arbeiten veränderten. Er musste die Spannung aushalten, einerseits Maler am Hof eines absolutistischen Fürsten zu sein, andererseits sich an den Idealen der Aufklärung, also Vernunft und Freiheit, orientieren zu wollen. Über eine wichtige Werkgruppe, die den Titel ›Schrecken des Krieges‹ trägt, werden weitere Posts im Blog folgen. ›Die Erschießung der Aufständischen‹ sind im Kontext dieser Informationen zu sehen.
Von der Zeit her liegt Goyas Werk zwischen Rokoko und Romantik, doch sind seine Werke die eines Außenseiters. Die von ihm gewählten ungewöhnlichen Themen, aber auch seine neuen Malweisen machen eine kunstgeschichtliche Einordnung sehr schwierig. Finden sich in seinem Frühwerk noch Anklänge ans Rokoko, sind im Spätwerk – und so auch bei der ›Erschießung der Aufständischen‹ – Zuordnungen nicht möglich. In seinen Arbeiten findet sich eine Modernität, die sich durch den nachhaltigen Einfluss auf Künstler belegen lässt, die im 19., aber auch 20. Jahrhundert gelebt haben. Beispiel hierzu werden am Ende des Textes aufgeführt.
5. Zeitgeschichtlicher Hintergrund
wikipedia: »Der auf dem Bild festgehaltene Vorfall ereignete sich real im Jahr 1808 […]. Napoleon I. hatte Spanien unterworfen, das Königshaus in Madrid musste bereits seine Befehle entgegennehmen und ausführen. Am 2. Mai 1808 versuchten Teile der spanischen Bevölkerung, die von Frankreich angeordnete Abreise von Francisco de Paula, Bruder von König Fernando VII., mit Gewalt zu verhindern. Die Situation eskalierte, es kam zu einem ungleichen, harten Kampf mit den französischen Truppen. Der Oberkommandierende der französischen Truppen Joachim Murat erklärte in seinem Tagesbefehl: ›Der irregeführte Pöbel von Madrid hat sich hinreißen lassen zu Revolte und Mord. Französisches Blut ist geflossen. Es verlangt Rache.‹ Jeder Spanier, der mit einer Langwaffe angetroffen wurde, wurde sofort getötet. Es waren annähernd 400 Opfer. 45 Aufständische wurden in der Nacht vom 2. auf den 3. Mai auf dem Hügel von Principe Pio zusammengetrieben und erschossen. Diese Episode griff Goya in seinem Bild auf.«
6. Interpretation
Das Bild stellt einen eindringlichen Appell dar, für die Menschlichkeit einzutreten, und bezieht Stellung gegen die Grausamkeiten des Krieges. Es wird die uniformierte Macht eines fremden Staates, Frankreichs, dargestellt, der die Bevölkerung eines besetzen Staates hinmetzeln lässt, um Rache zu üben. Diesen anonymen Soldaten tritt ein Mann entgegen, der anders als seine Mitopfer nicht in Schrecken verharrt, sondern sich an die Täter wendet. Seine Geste macht deutlich, dass er um Einhalt beim Morden bittet. Seine flehend erhobenen Hände lassen sich als die Körperhaltung eines ans Kreuz Geschlagenen sehen. Doch ist der Himmel leer. Der Mensch muss die Angelegenheiten der Menschen selbst in die Hand nehmen. Solch eine Aussage, die sich aus der Darstellung und der Art der Darstellung herauslesen lässt, ist stimmig vor dem Hintergrund von Goyas Biografie und vor den Aussagen anderer seiner Werke, z.B. der ›Caprichos‹ und der ›Schrecken des Krieges‹.
• Bilder modernerer Maler, die sich auf Goya beziehen
|
|
|
|