Christo und Jeanne-Claude – Verhüllter Reichstag

 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Der Verhüllte Reichstag (englischer Originaltitel: Wrapped Reichstag) war ein Kunstprojekt des Künstlerehepaars Christo und Jeanne-Claude. Im Rahmen des Projektes, dessen Realisierung von 1971 bis 1995 dauerte, wurde das Reichstagsgebäude in Berlin vom 24. Juni bis zum 7. Juli 1995 vollständig mit aluminiumbedampftem Polypropylengewebe verhüllt. Die Reichstagsverhüllung stellt eines der bekanntesten Werke für Kunst im öffentlichen Raum dar.

Planung und Vorbereitung 

Christo erhielt 1971 von dem in Berlin ansässigen Amerikaner Michael S. Cullen eine Ansichtskarte vom Reichstagsgebäude mit dem Vorschlag, dieses zu verhüllen. Die Künstler zeigten Interesse und baten Cullen, sich mit der Beschaffung der nötigen Genehmigungen zu befassen. 1972 fertigte Christo die erste Collage für das Projekt Verhüllter Reichstag an. Vorerst kam das Vorhaben jedoch nicht voran und erst 1976 nahm Christo das Gebäude persönlich in Augenschein. Immerhin kam es dabei zu einem Gespräch mit Bundestagspräsidentin Annemarie Renger. 1977 und auch in den Folgejahren fanden immer wieder Treffen mit deutschen Politikern statt, die jedoch zu keinen Erfolgen führten.

1989 fiel die Mauer, 1990 wurde Deutschland wiedervereint, und nun schien das allgemeine Aufbruchsklima auch ungewöhnliche Ideen zu beflügeln: Die neue Bundestagspräsidentin, Rita Süssmuth, bot 1991 in einem Brief an Christo und Jeanne-Claude ihre Unterstützung an. Christos Deutschland-Besuche Nr. 22 bis 35 folgten 1992 und 1993.

»Ein maßstabsgerechtes Modell des Verhüllten Reichstags wird im Reichstag und später in der Lobby des Bundestags in Bonn aufgestellt. Ein langes und mühsames Lobbying beginnt.« Zitat aus Christos Bericht

Christo und Jeanne-Claude führen Gespräche mit Hunderten von Abgeordneten, die alle einzeln in ihren Büros aufgesucht werden. Das Team für die Umsetzung des Projekts bestand zu dieser Zeit aus Christo, Jeanne-Claude, Mike Cullen und drei weiteren Freunden. Um in Berlin mobil zu sein, richteten sie sich in einem Kleinbus ein Büro ein, von dem aus die Arbeiten koordiniert wurden.

Am 25. Februar 1994 gab der Bundestag „nach einer leidenschaftlich geführten Debatte“ seine Zustimmung zum Projekt Verhüllter Reichstag. Kommentar: »Es ist das erste Mal in der Geschichte, daß in einem Parlament über die zukünftige Existenz eines Kunstwerkes debattiert und abgestimmt wird.« Die Abgeordneten entschieden sich mit 292 zu 223 Stimmen für die Umsetzung. 

Nach dem Erhalt der Genehmigung wurde die Verhüllter Reichstag GmbH gegründet, über die ab diesem Zeitpunkt alle Geschäfte abgewickelt wurden. Die Posten des kaufmännischen und des technischen Leiters wurden vergeben, Anwälte engagiert und ein Ingenieursbüro mit der technischen Umsetzung beauftragt. Danach wurden insgesamt zehn Firmen ausgewählt, die für die Herstellung und Bereitstellung der Materialien sorgten. Insgesamt benötigten die Künstler 109.400 m² Polypropylengewebe, 15.600 Meter blaues Polypropylenseil und 200 Tonnen Stahl für die Unterkonstruktion.


 

 

 

 

 

 

 

Nach zahlreichen Stunden intensiver Arbeit und einigen kleineren Pannen und Problemen konnte die Verhüllung am 24. Juni 1995 abgeschlossen werden. Das 13 Millionen Dollar teure Kunstwerk wurde alleine am letzten Tag laut Polizeiangaben von 500.000 Besuchern betrachtet. Am 7. Juli wurde schließlich mit dem Abbau begonnen. Insgesamt besuchten in den zwei Wochen des Bestehens etwa fünf Millionen Menschen das Kunstwerk. Das gesamte Verhüllungsmaterial wurde nach dem Abbau wie angekündigt dem Recycling zugeführt.

Da der Vorgang der Verhüllung selbst zum Kunstwerk gehörte, waren Christo und Jeanne-Claude von Anfang an dagegen, Kräne, Hubsteiger oder Gerüste zu verwenden. Sie wollten, dass die Verhüllungsarbeit von Menschen durchgeführt wird. Deshalb wurden zusätzlich 90 professionelle Kletterer engagiert, die diese Arbeit erledigten.

Bemerkenswert ist, dass Christo und Jeanne-Claude all ihre Projekte selbst finanziert haben. Dies gelang, indem  Christo in den Entwurfsphasen immer wieder neue Zeichnungen anfertigte, die den jeweiligen Planungsstand darstellten. Aus dem Verkauf der Zeichnungen und Drucken dieser Grafiken sowie den Rechten an Fotos der Werke erwirtschafteten die Künstler das Geld für die Realisierung ihrer Projekte. Christo äußerte sich zu seinen Arbeiten mit folgenden Worten: »Es ist total irrational und sinnlos.« Millionen Menschen waren dennoch von der Schönheit der in abstrakte Objekte verwandelten Gebäude und Landschaften fasziniert.

 
Rezeption und Interpretation 

Christo und Jeanne-Claude schufen mit dem Projekt Verhüllter Reichstag ein Kunstwerk, das neben dem ästhetischen Wert auch enormes gesellschaftspolitisches Potenzial mit sich brachte. Der Verhüllte Reichstag veranschaulichte nach der Wende das progressive Denken der Berliner, da er traditionelle Werte wie die Demut vor historisch wichtigen Gebäuden auf eindrucksvolle, künstlerische Weise angriff und damit das Paradebeispiel für einen Neuanfang verkörperte. 

Christo erläuterte die Wichtigkeit des temporären Charakters: 

»Niemand kann diese Projekte kaufen, niemand sie besitzen, niemand kommerzialisieren, niemand kann Eintritt für ihre Besichtigung verlangen – nicht einmal uns gehören diese Werke. Unser Werk handelt von Freiheit, und Freiheit ist der Feind allen Besitzanspruchs, und Besitz ist gleichbedeutend mit Dauer. Darum kann das Werk nicht dauern.«

Die Künstler lehnen sich gegen die Vermarktung der Kunst auf. Während die Werke der meisten Künstler erwerbbar sind und besessen werden können, ist die Kunst von Christo und Jeanne-Claude immer nur temporär und kann von jedem, der die Muße dazu hat, kostenlos und ohne Barrieren betrachtet werden. 

Neben den Befürwortern gab es auch zahlreiche Gegner. So kommentierte der Schriftsteller Peter Hacks schlicht: »Ein Irrer wickelt Lappen um ein Haus.«

Darstellung nach wikipedia